Victor Silberer: Ein Sportsmann, der viele Millionen
machte
Ein Wiener Zeitungsverleger entdeckt um 1900,
wie man mit dem Körperkult Geld scheffeln
kann. Seine "Allgemeine Sport-Zeitung" hatte Monopolstellung
und war eine Sensation in der Donaumonarchie.
Auf dem von ihm gepflügten,
wahrhaftig nicht bedeutungslosen Felde ist Victor
Silberer der Praeceptor Austriae, und sein
Instrument, sein Katheder, war seine Zeitung." So
schwülstig urteilt Balduin Groller, ein bezahlter
Mitarbeiter des Gerühmten, in der noblen Monatszeitschrift "Sport & Salon" im
Jahr 1900 über einen der schillerndsten Journalisten
seiner Zeit. Victor Silberer (1846 bis 1924) war
nicht nur der erste Sportjournalist Österreichs,
er schuf manche Sportart erst selbst, um in ihr
nicht nur zu brillieren, sondern mit ihr auch gutes
Geld zu machen: Pferderennen etwa. Bis heute erinnern
im Trabrennverein Krieau die "Silberer-Loge" und
das "Victor-Silberer-Gedenkrennen" an ihn.
Silberer: Ein Allroundgenie, wie seine Bewunderer
einhellig feststellten? Oder ein Lügner und
Betrüger, wie die christlich-soziale "Österreichische
Volks-Presse" am 2. Juni 1912 warnte? Da hatte
der Journalist und Zeitungsherausgeber gerade einen
Disput mit dem christlich-sozialen Gemeinderat
Hermann Bielohlawek (ja, genau jener: "Wann i des
Büchl siech, hab i scho g'fressen!"). Es ging
um Stimmenkauf und Bestechung. Tausend Kronen soll
der schwerreiche Silberer dem Bielohlawek auf der
Kärntner Straße angeboten haben, damit
der ein bisschen Wahlwerbung organisiere: Silberer
hatte ein Direktmandat für die Leopoldstadt
im Wiener Gemeinderat. Und stritt alles ab.
Die Antwort Bielohlaweks erfolgte umgehend - und
gewohnt saftig: "Worüber alle Leute nur staunen,
ist, dass es Menschen gibt, die ganz genau wissen,
welche Schurkereien sie begangen haben, und dass
dafür noch lebende Zeugen existieren, trotzdem
diese Schurkereien ableugnen und dabei sich noch
in die Pose eines anständigen Menschen werfen
wollen."
Von der Luftfahrt fasziniert
Doch die Parteipolitik war für Silberer nur
eine Nebenfront. Seine Millionen machte er mit
der von ihm gegründeten und geleiteten "Allgemeinen
Sport-Zeitung", die über die Donaumonarchie
hinaus griff - bis Frankreich, Belgien, England.
Und weil es damals kaum noch Sportwetten gab, lenkte
Silberer gleich auch noch den Trabrennsport in
Wien in die richtigen Bahnen. Gründer des
Wiener Aeroklubs war er da schon.
Denn von der Luftfahrt war der Wiener sein Leben
lang fasziniert. Als Siebenjähriger staunte
er, als der französische Luftfahrer Eugène
Godard vom Garten der Wiener Sofiensäle aus
mit dem Ballon "auffuhr". Bis er seinen eigenen
hatte, dauerte es noch. Er war Bankbeamter, dann
Korrespondent der "Neuen Freien Presse" im Deutsch-Französischen
Krieg 1870, Chef der "Militär-Zeitung", Besitzer
des "Salon-Blattes". Und dann ab 1880 allmächtiger
Eigentümer der "Allgemeinen Sport-Zeitung".
Seinen eigenen Ballon hatte er inzwischen auch.
Samt einer Halle mit Gasanschluss im Prater.
Sportler mussten Silberer lesen
Rudern, Fechten, Schwimmen, Eislaufen, Gewichtheben:
Silberer verstand es glänzend, mit seiner
Zeitschrift eine immer größer werdende
Leserschaft zu bedienen. Das Jahn'sche Turnen förderte
er, wenngleich er den wachsenden Antisemitismus - auch
bei seinem Idol Karl Lueger - in Leserbriefen geißeln
ließ. Auch die "leichte Athletik" war ihm
ein Anliegen: Im Wiener Gemeinderat hielt er eine
Brandrede, weil den Rathausvätern ein Ehrenpreis
zu teuer erschien: "Diese jungen Leute, meine Herrschaften,
verdienen deshalb die vollste Unterstützung
von allen Seiten (Beifall), denn sie stählen
ihren Körper, sie machen mit einem Worte ordentliche
Männer aus sich in einer Zeit, wo die jungen
Leute leider zunehmend zu Greisen werden, bevor
sie noch Männer waren (Zustimmung). [. . .]
Es ist traurig genug, dass unser Staat Hunderttausende
im Jahr hat für die Veredelung von Pferderassen;
Rinder werden veredelt, Schweine werden veredelt,
aber die Menschenrasse, die durch das anstrengende
moderne Leben heruntergebracht wird, und ihrer
durch so viele aufreibende Berufszweige der Neuzeit
immer ärger werdenden Nervosität ein
Paroli zu bieten, das findet keine Unterstützung!"
Solche Reden des Gemeinderates Silberer waren
natürlich auch dem Inseratengeschäft
seiner Zeitschrift höchst zuträglich.
Er machte gutes Geld. Die Adresse zeigte dies schon:
Wien I., Annagasse 3 und 3A. Er war nicht nur hier
Hausbesitzer.
Wie ein Semmering-Fürst
Mit seinen Millionen zog sich der Rastlose aber
immer öfter auf den Semmering zurück,
dessen lahme Fremdenverkehrsaktivitäten er
umgehend in die Hand nahm und ankurbelte. Bald
war er Präsident des "Semmeringer Vereins",
der sich die Gemeinderäte quasi als Domestiken
hielt. Silberer verhandelte mit der Südbahngesellschaft
auf Augenhöhe: Er schrieb der privaten Gesellschaft
die Zugsfolgen samt Abfahrtszeiten vor, ebenso
die Tarife.
Als sichtbares Zeichen des erworbenen Reichtums
ließ er sich das pittoreske "Silberer-Schlössl" errichten - Neuschwanstein
stand dabei Pate. Noch heute dominiert es mit seinen
Giebeln und Türmchen die Villenlandschaft
zwischen Semmeringbahn und Südbahnhotel. Auf
der Passhöhe war er Bauherr des - heute nicht
mehr existierenden - Hotels "Zum Erzherzog Johann".
Beim Jubiläum seiner Zeitschrift 1905 gab
ihm das "offizielle Wien" geschlossen die Ehre,
Bürgermeister Lueger hielt "in prächtiger
Laune" den Toast. Doch nach dem Tode des christlich-sozialen
Parteiführers und Agitators fehlte Silberer
die starke Hand. Querelen - die tat sich der reiche
Mann nicht mehr an. 1911 gab er sein Leopoldstädter
Mandat auf. Natürlich mit einer gehörigen
Philippika in seiner Zeitschrift, die ein wenig
an die Zustände in der heutigen Wiener ÖVP
gemahnen:
". . . Auch zu Luegers Zeiten hat es oftmals Unstimmigkeiten
gegeben und Personen, die sich bei Wahlen der Majorität
des Wahlkomitees nicht fügen wollten. Da kam
aber immer der Generalissimus mit seiner unwiderstehlichen
Autorität und eisernen Faust und schuf rasch
wieder Ordnung.
Diese schier allmächtige Autorität
und diese eiserne Faust fehlen aber leider heute
in der Partei!" Schrieb's und beehrte ab da die
sozialdemokratische "Arbeiter-Zeitung" mit
Beiträgen und Leserbriefen. Daher widmete
diese Zeitung am 12. April 1924 dem früheren
Klassenfeind einen warmen Nachruf, der dessen Lebensbogen
vom Lueger-Anhänger zum "guten Republikaner" nachzeichnete.
Dass er den "Annahof" testamentarisch den Barmherzigen
Brüdern vermachte, galt es ebenso zu rühmen,
wie seine Stiftungen auf dem Semmering.
Sohn Herbert, den er eigentlich zum Nachfolger
und Erben im "Sportblatt" ausersehen hatte, beging
1923 in diesem "Anna-Hof" unter schweren Depressionen
Selbstmord, so verkaufte Silberer sein Lebenswerk
und zog sich, an beiden Beinen bereits gelähmt,
in den vierten Stock seines Wohnpalais zurück.
Er starb an einer Lungen- und Rippenfellentzündung.
Sein weithin sichtbares "Schlössl" unweit
des Hotels "Panhans" zeugt heute noch von diesem
Selfmademan der Lueger-Epoche.
Quelle: "Die Presse",
29.10.2011
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