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Der Unpünktliche - die Castelli-Clocke
Einer der vielseitigsten Schreiberlinge seiner Zeit war Ignaz Franz Castelli, Sohn eines säkularisierten Jesuiten. Als Theaterdichter am Kärntertortheater versorgte er die Bühne mit über zweihundert Stücken, meist Übersetzungen aus dem Französischen. Im Zivilberuf war er Buchhalter bei den niederösterreichischen Landständen und als solcher von souveräner Gelassenheit im Umgang mit Vorgesetzten.
Obwohl die Amtsstunden im Landhaus um neun Uhr begannen, traf er manchmal erst um Viertel zwölf ein, wenn gerade die Glocke in der gegenüberliegenden Minoritenkirche zur letzten Messe rief - weshalb sie in der Beamtenschaft scherzhaft Castelli-Glocke genannt wurde. Als er wieder einmal besonders spät an seinen Schreibtisch kam, empfing ihn sein Vorgesetzter mit der Uhr in der Hand und dem Verweis: "Ich habe Sie bereits wiederholt zur Pünktlichkeit ermahnt. Heute ist es wieder Viertel nach elf." "Pardon", sagte Castelli ungerührt und zog seinerseits die Taschenuhr. "Ihre Uhr geht nach, es ist bereits halb zwölf."
Castelli verschickt Stein, der ihm vom Herzen gefallen ist
Die Streiche, die Castelli ausheckte, muten heute zum Teil recht harmlos an. So bat er beispielsweise einen Freund, der eine längere Reise antrat, ihm dann und wann eine Nachricht über sein Befinden zukommen zu lassen. Der Freund hielt Wort. Schon in der dritten Poststation sandte er auf Castellis Kosten einen Eilboten mit der Depesche: "Lieber Freund, ich befinde mich wohl." Zähneknirschend bezahlte Castelli die kostspielige Stafette.
Nach einiger Zeit erhielt der Scherzbold eine unfrankierte Kiste nachgesandt. Als er die nicht eben geringen Frachtgebühren beglichen hatte, fand er darin einen Stein und ein Blatt des Inhalts: "Lieber Freund! Bei der Nachricht von Deinem Wohlsein ist mir beifolgender Stein vom Herzen gefallen."
Zwei Gichtkranke auf Kur
In seiner Anekdotensammlung Bären erzählt Castelli von zwei Gichtkranken, einem Böhmen und einem Wiener, die sich einer Kur unterziehen und vom Badediener kräftig frottiert werden. Der Wiener brüllt vor Schmerz, der Böhme lächelt gelassen vor sich hin. "Ich bewundere Ihre Ruhe, mit der Sie Schmerzen ertragen", sagt der Wiener. "Es muss Ihnen doch genauso weh tun wie mir."
Daraufhin der Böhme mit der ganzen pfiffigen, dickschädeligen Einfalt, die man hundert Jahre später dem Soldaten Schwejk nachrühmen wird: "Hat me gar nit weh tan, hab ich Krankenwärter fuppt. Hab ich gesunde Fuß zum Frottieren geben."
Castelli und die Politik
Ans Tragikomische grenzt Castellis Berührung mit der großen Politik. Er hatte, als Österreich gegen Napoleon aufstand, patriotische Aufrufe und Kriegsgedichte verfasst. Eines seiner Wehrmannslieder ließ Erzherzog Johann in mehreren hunderttausend Exemplaren drucken. Worauf im Moniteur ein Edikt erschien, dass der antinapoleonische Verseschmied vor ein Kriegsgericht zu stellen und abzuurteilen sei.
Als die französische Armee sich Wien näherte, bekam es Castelli mit der Angst zu tun. Deshalb wandte er sich an Kaiser Franz und bat, einer mit Geheimakten und Staatsurkunden abziehenden Behörde als Begleiter beigegeben zu werden. Schweigend betrachtete der Kaiser den Steckbrief, den der schlotternde Bittsteller ihm überreicht hatte, schließlich sagte er kopfschüttelnd: "So? Kriegslieder hat Er gedichtet? Ja, wer hat Ihm denn das g'schafft?" |