Nachruf im Standard, 9.12.2011
Der Erzähler, Lyriker,
Hörspielautor und Dramatiker setzte
der Realwelt polemisch zu
Wien - Wer in Österreich
vorgab, etwas zu gelten, der lief Gefahr,
in einem von Werner Koflers wutschäumenden
Prosatexten aufzuscheinen. Der Villacher
Kaufmannssohn, ein Virtuose im Umgang mit
den eher unliebsamen Aspekten der heimischen
Wirklichkeit, nannte die Popanze des Ungeists
häufig genug beim bürgerlichen
Namen.
Für flüchtige Lektüren
eignen sich Koflers Bücher schwerlich.
Wer in seinen Beschwörungslitaneien
nach Prominenten fahndet, der stößt
auf Politiker, Schauspieler und Boulevardschmieranten.
Doch wer sich auf den "Echtheitsgehalt" der
handelnden Personen versteift, verpasst das
Beste. |
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Der Tatbestand der Wirklichkeitsverdrehung
macht die Wirkung dieser geschliffenen Texte nur
zum geringsten Teil aus. Kofler besaß die
Fähigkeit, Verhältnisse, die nicht nur
er als unerträglich empfand, durch die Mittel
der Unterstellung zur Kenntlichkeit zu bringen.
Kofler streute daher Gerüchte aus: Er schwärzte
an, er mutmaßte und übertrieb. Obendrein
sammelte er Beweismittel und leitete umständliche
Verfahren ein.
Wirklichkeitszerstörung
Kunst müsse "die Wirklichkeit zerstören",
schrieb dieser liebende Berserker in seinem Band
Am Schreibtisch (1988). Aber: "Die Wirklichkeit
macht ungeniert weiter, die Wirklichkeit schert
sich keinen Deut um die Zerstörung, die ihr
in der Kunst zugefügt wird, die Wirklichkeit
ist schamlos, schamlos und unverbesserlich."
Das Tiradenhafte, das Koflers Einlassungen auszeichnet,
hat man oft genug an der Vorbildwirkung Thomas
Bernhards gemessen. Kein Hinweis führt gewisser
in die Irre als dieser: Kofler, der seine Lehrerausbildung
früh abbrach und bereits 1968 als freier Schriftsteller
nach Wien übersiedelte, trieb ein anderer
Zorn um. Die Wirklichkeit - "eine üble
Sache", so Kofler - befeuerte seinen Ingrimm.
Er rechnete bereits 1975 (in Guggile) mit den Besonderheiten
der Kärntner Lebenswelt ab und entwickelte
die Grundzüge einer schwarzen Pädagogik,
mit der er die "Erinnerungspolitik" in
ihre verlogenen, politisch missbräuchlich
verwendeten Teile zersetzte.
Koflers Literatur, lange Jahre beim Rowohlt-Verlag
heimisch, als dieser noch auf Schärfe und
Qualität achtete, lässt sich mit einem
Nietzsche-Wort verstehen: Kaprizierte sich dieser
darauf, mit dem Hammer zu philosophieren, so praktizierte
Kofler seine Dichtkunst mit dem Hammer. Über
der Unversöhnlichkeit seiner Einlassungen
vergisst man leicht die Musikalität seiner
weit ausgespannten Satzperioden. Man unterschlägt
sein feines Gehör für die Rede der sogenannten "Geisteskranken" (Ida
H., 1978), und man missachtet die Melancholie,
die über den Zeilen dieses (vermeintlich)
Tobsüchtigen zu schweben scheint: nachlesbar
in seinem letzten Prosabuch, dem berührenden
Selbstvergewisserungstext Kalte Herberge (2007).
Werner Koflers Theatersatire Tanzcafé Treblinka
war eine niederschmetternde Bestandsaufnahme der
Infamie. Insofern Kofler den Ungeist auch in den
entlegensten Tälern und Nischen der österreichischen
Verlautbarungskultur aufstöberte, war er ein
wahrer Weltautor: Nur ein solcher pflegt keine
Kompromisse einzugehen. Jetzt ist Werner Kofler
nach langer, schwerer Krankheit 64-jährig
in Wien gestorben.
Nachruf NZZ online, 10.11.2012
Er war einer der grossen, zornigen
Virtuosen der deutschen Sprache. Doch in letzter
Zeit wurde er zu wenig und fast nur noch in Österreich
wahrgenommen, was auch daran lag, dass er im
vergangenen Jahrzehnt bloss noch zwei schmale
neue Bücher veröffentlicht hatte. Werner
Kofler, geboren 1947 in Villach, gestorben vorgestern
in Wien nach langer peinigender Krankheit, hat
mehr als zwanzig Bände publiziert. Seine
Parabel als funkelnder und letztlich glückloser
Literaturkomet ist auch in der Geschichte seines
Verleger-Wechsels zu sehen: fünf Bände
bei Wagenbach, fünf bei Rowohlt, dann nur
noch Bücher bei kleinen und immer kleineren
Verlagen in Österreich, teilweise Neuauflagen
aus besseren Zeiten. Dabei hatte der geniale
Polemiker einst nicht nur sehr viel und ganz
Ungeniertes zu sagen, er schrieb es auch bis
zuletzt in einer Prosa von unerhörter Musikalität
und Schrittfestigkeit.
Anzeige:
Koflers glänzender Aufstieg begann 1975,
als der Wagenbach-Verlag zur deutschen Vorhut gehörte,
mit dem Roman «Guggile» über seine
Kindheit im post-Nazi-biederen Kärnten. Den
fast unsichtbaren Schlusspunkt seiner Karriere
setzte er 2010 mit dem sehr schlanken, aber immer
noch brillanten Prosaband «Zu spät» im
Wiener Sonderzahl-Verlag, der kaum noch die Eingeweihten
des Literaturbetriebs erreichte – das verlässliche
Innsbrucker Zeitungsarchiv registriert eine einzige
Rezension.
«Zu spät» besteht aus zwei Texten,
die exemplarisch zwei Leitthemen von Kofler variieren:
die unzumutbare Gegenwart und die verbrecherische
Vergangenheit. Im ersten Teil kommt ein erzählendes
Ich «zu spät» in sein «Kindheitsgelände» zurück,
findet nicht den Garten, sondern eine Baugrube,
nicht den «Kindheitskirschbaum», sondern
nur Verwüstung durch einen Kärntner Spekulanten.
Im zweiten Teil geht es um den Film «Tiefland»,
bei dem 1940/41 Roma-Komparsen mitgewirkt hatten,
die später in Auschwitz ermordet wurden. Die
berüchtigte Regisseurin Leni Riefenstahl,
der honorige Schauspieler Bernhard Minetti und
der berühmte Jean Cocteau, der den Film 1953
wieder lancierte – sie alle werden von Kofler
durch seinen an Karl Kraus geschulten Reisswolf
der Sprache gedreht.
Im bösen Witz seiner Texte grenzte Kofler
sich immer durch Unversöhnlichkeit vom landläufigen
Humor ab. Er war kein friedliebender Grüner,
sondern ein rabiater Gegner jeglicher Naturzerstörung,
zumal in seinem Kärnten und vonseiten der
dortigen politischen Hasardeure. Deren Nazi-Sympathien
brachte er in vielen Werken in Verbindung mit ihren
Machenschaften in der Gegenwart und mit der NS-Mordmaschinerie
der Vergangenheit, etwa in der grandiosen Erzählung «Mutmassungen über
die Königin der Nacht» (1989) oder in
den Bühnenmonologen von «Tanzcafé Treblinka» (2001).
In seiner Wahlheimat Wien betrieb er die hohe Kunst
des Nörgeln auch als Privatsache, vor allem
gegen die Boulevardpresse. Die Namen vieler Bösewichter
sind in seinen Büchern für die Zukunft
vermerkt.
Lebensweg
Werner Kofler
Geb. 23.Juli 1947 in Villach,gest. 08. Dezember
in Wien, lebte und arbeitete in Wien/Österreich
Stationen u.a.: Lehrerbildungsanstalt. Seit 1968
freier Schriftsteller.
Arbeitsgebiete: Gedicht, Erzählung, Roman,
Hörspiel
Auszeichnungen/Ehrungen/Preise (Auswahl): Elias
Canetti-Stipendium (1987). Österreichischer
Würdigungspreis für Literatur (1990).
Arno Schmidt-Preis (1996/97). Kulturpreis des Landes
Kärnten (2004).
Veröffentlichungen (Auswahl): Guggile.Vom
Bravsein und Schweinigeln, Eine Materialsammlung
aus der Provinz (1975/2004, Deuticke). Oliver,
Hörspiel (1982). Hotel Mordschein, Prosa (1989).
Der Hirt auf dem Felsen, Prosa (1991). Herbst,Freiheit
(1994). Szenen aus dem Salzkammergut (1996). Wie
ich Roberto Cazzola in Triest plötzlich und
grundlos drei Ohrfeigen versetzte, Versprengte
Texte (Wespennest). Aus der Wildnis (1998). Manker
(1999). Ida H. (2000). Tanzcafé Treblinka
(2001). Kalte Herberge, Bruchstücke (2004,
Deuticke). Triptychon:Am Schreibtisch/Hotel Mordschein/Der
Hirt auf dem Felsen, Prosa (2005, Deuticke).
Textbeispiel
…Die Wut also fehlt? Eine Wut, eine Wut,
habe ich aber eine Wut! Kennen Sie übrigens
schon meinen Triestroman in einem Satz, nein? Laß Triest
aus dem Spiel, sagte sie bitter ... Gut, nicht?
Ah, wie gerne würde ich noch kürzere
Romane und Novellen schreiben, wie gerne würde
ich nichts mehr schreiben, überhaupt nichts
mehr, aber meine Nichtlesergemeinde, die Millionen
und Abermillionen, die nach meiner Literatur nicht
verlangen, zwingen mich, damit fortzufahren ...
Aber keine Frage, irgendwann werde ich alle, die
nichts von mir hören wollen, mit Verstummen
und Schweigen bestrafen ... Und sollten sie noch
so sehr nichts von mir hören oder lesen wollen,
ich werde mich nicht umstimmen lassen, nicht ich.
Unerschütterlich werde ich sein, spottbillig, überglücklich,
Sie verstehen schon ... Die Wut also? Warnleuchte,
ja? Ein Tritt, und die Warnleuchte fliegt in hohem
Bogen ins Postamt gegenüber dem Il Posto.
Die Wut, was war mit ihr? Ja richtig, sie fehlt,
so war es. Soll ich wieder über andere herfallen?
Sollte ich welche übersehen haben, die deshalb
der irrigen Ansicht sind, es läge nichts gegen
sie vor? Oswald Wiener zum Beispiel, soll ich sagen:
Oswald Wiener, ein Scharlatan, die Verbesserung
von Mitteleuropa, ein hochtrabender Scheißdreck,
soll ich? Gut, ich werde sagen: Oswald Wiener,
ein Scharlatan, die Verbesserung von Mitteleuropa,
ein hochtrabender Scheißdreck ... Oder soll
ich mich in Graz einmal umtun, die sogenannten
MANUSKRIPTE mir einmal vornehmen, das Forum Stadtpark,
den Steirischen Herbst, soll ich? Gut, die Grazer
Dichtertrottel, werde ich sagen, die Ausdünstungen
des Steirischen Herbstes ... Die Wut, wäre
sie das? Nein? Soll ich die Namen Gerhard Roth,
Erich Hackl nennen, und hinzufügen: Kuscheliger
Antifaschismus? Soll ich? Ah, ich werde meine Stimme
erheben: Gerhard Roth, kuscheliger Antifaschismus
... Erich Hackl, kuscheliger Antifaschismus ...
Einen Vergleich werde ich anregen und eine Vertonung:
Udo Jürgens und Erich Fried, ein Vergleich,
werde ich vorschlagen, und: Udo Jürgens singt
Erich Fried ... Soll ich?“…Aus: „In
meinem Gefängnis bin ich selbst der Direktor“,
(S. 144/145) In meinem