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Home | Altstadt | Stephansdom - Brotmaß

Brotmaß und Bäckerschupfen
Dichtung und Wahrheit

Brotmaß und Ellen am Portal des Stephansdomes
Kleine Tuchelle, Große Leinenelle

 

Den Kreis als Brotmaß und die beiden Eisenstangen als Tuchmaß, linkerhand vom Haupteingang des Stephandoms, kennen viele Wiener. Lernen sie doch davon schon in der Volksschule. Auch vielen Gästen, die nach Wien kommen, wird die Geschichte davon erzählt:

Die zwei Eisenstäbe stellen Version 1: die kleine Tuchelle und die große Leinenelle dar. Version 2: die Wiener Elle und die Brabanter Elle dar. (Die flandrischen Tuchhändler erhielten bereits um 1200 ein Handelsprivileg in Wien - siehe Tuchlauben.) Hier konnte man die Stofflängen nachmessen.

Brot zählte früher zu den Hauptnahrungsmitteln. Dementsprechend waren die Qualität und vor allem die Größe der Brotlaibe sehr wichtig. So hatten die Wiener die Möglichkeit, hier am Kreis die Größe des Brotlaibes nachzumessen.

Wurde ein Bäcker des Betruges überführt, drohte ihm eine strenge Strafe: Das Bäckerschupfen. Dabei wurde der Beschuldigte in einen hölzernen Käfig gesteckt und mittels eines Hebels in die Donau (bei der Roßau) getaucht, und das meistens gleich mehrmals.
"Lustig" war dies nur für die schadenfrohen Zuschauer, sie hatten Gelegenheit, ihrer derben Spottlust freien Lauf zu lassen.

   

 

 

Seit dem 13. Jahrhundert bestand diese harte Bestrafung (1550 kam es sogar zu einem Todesfall), sie wurde auch am Neuen Markt und am Graben vollzogen. Der Sohn von Kaiserin Maria Theresia, Kaiser Josef II., schaffte das Bäckerschupfen ab, das letzte Mal fand es 1773 statt.

Dichtung und Wahrheit: Das mit den Ellen stimmt. Ebenso die Geschichte mit dem Bäckerschupfen: Auch in anderen Gebieten Europas war die Ehrenstrafe gegen Qualität bzw. Gewicht von Backwaren üblich. 

Bäckerschupfen, zeitgenössischer Stich

 

Spottlied beim Bäckerschupfen

Bäckerlein, Bäckerlein,
Laß dein Brot gewichtig sein!
Sonst zieh' n wir dich bei Schnee und Wind    
Zur Donaulände hin geschwind.

Bäckerlein, Bäckerlein,
Warum ist dein Brot so klein?
Wir rufen heut' den hohen Rat,
Zu prüfen deine schlechte Tat.

Bäckerlein, Bäckerlein,
Setz' dich in den Korb hinein!
Wir bringen dich zum "Roten Turm"
Und schupfen dich im Wellensturm.

Bäckerlein, Bäckerlein,
Steig' nur in den Korb hinein!
Wir tauchen dich ins kühle Nass.
Auf dein Gewicht ist kein Verlass.

Das Bäckerschupfen (Foto: Museum für Rechtsgeschichte, Pöggstall, NÖ)

 

Rokokogitter mit Haken zur Befestigung. Foto vor 1880

Der Geschichte mit dem Kreis als Brotmaß ist allerdings eine Erfindung - wenn auch eine gute. Bis ins Jahr 1880 wurde der Haupteingang mit einem Rokokogitter verschlossen. Dieses war an der Außenseite des Portalvorbaus befestigt, die Angeln sind an der Mauer gut erkennbar.
Um die Gitterteile im geöffneten Zustand zu fixieren, war links und rechts ein Haken angebracht  Wenn man sich ausrechnet, wie oft diese Haken betätigt wurden, kann man sich leicht vorstellen, wie sich die Kreise im Laufe der Jahre in die Mauer eingeritzt haben.

 

Westansicht der Fassade um 1894
Das neue Gittertor öffnet sich nun nach der Innenseite, daher waren keine Haken mehr erforderlich.

 

Bild: Vielleicht weil der zweite Kreis (rechts vom Riesentor), so unbeachtet blieb und wohl auch bleibt,
konnte es zur Entstehung dieser "Sage vom Brotmaß" kommen.

März 2006
Quellen: Czeike, Wien Lexikon; Der Dom 1/1994